26. Juli 2017 / 08:07
Autor:  Kathleen Weser

Kein Platz für Gefühle am Unglücksort

Das schwere Busunglück in Oberfranken löst beim Ortrander Einsatzleiter Erinnerungen aus

Als Feuerwehrmann Sven Wielk in Ortrand am Morgen des 3. Juli die Nachricht hört, dass bei einem Busunglück auf der Autobahn in Oberfranken ein Bus aus Sachsen mit Lausitzer Fahrgästen verunglückt ist, ereilt ihn dieser Gedanke: "An der Stelle des Einsatzleiters möchte ich jetzt nicht sein." 18 Menschen sterben in der Flammenhölle auf der Autobahn 9 bei Münchberg. Der Ersatzfahrer des Unglücksbusses hatte noch vielen Fahrgästen aus dem brennenden Bus geholfen, nachdem das Gefährt auf einen Lkw aufgefahren und rasant schnell in Brand geraten war. 30 Insassen überleben. Der Busunfall mit tragischen Folgen ruft dem erfahrenen Einsatzleiter der Feuerwehr Ortrand sofort einen Einsatz ins Gedächtnis zurück, der sich ähnlich schwer angekündigt hatte, aber glimpflich ausgegangen war. Autobahn 13 bei Schönfeld am Montag, dem 13. April 2015: Um 3.18 Uhr alarmiert die Leitstelle für Feuerwehr, Rettungsdienst und Krankentransporte Dresden die Leitstelle Lausitz in Cottbus. Nur Sekunden später rufen die Pieper die Einsatzkräfte der Feuerwehren Ortrand, Kroppen und Lindenau "zu einem Lkw-Brand auf der Autobahn". Wenig später wird die Alarmierung dramatisch korrigiert: Tatsächlich steht ein Reisebus an der Landesgrenze in Flammen. Mit mehr als 30 Kindern. Die Brandenburger Feuerwehren haben den kürzeren Anfahrtsweg. Denn die Kameraden aus Sachsen müssten zunächst in Schönfeld auf die Autobahn auffahren und bis zur Abfahrt Ortrand rasen, um dann zurück in der Gegenrichtung zum Einsatzort auf der Fahrbahn in Richtung Dresden zu gelangen. Die Lindenauer sind zuerst unterwegs und melden bereits bei der Anfahrt, dass der Bus in voller Ausdehnung brennt. Sven Wielk, der stellvertretende Amtswehrführer aus Ort-rand, leitet den Einsatz und fordert sofort weitere Tanklöschfahrzeuge an. Beißender Rauch steigt indes in den Himmel, der langsam heller wird an diesem Morgen. Innerlich auf das Schlimmste eingestellt, schaltet Sven Wielk schon auf der Anfahrt zum Unglücksort die Gefühle aus. "Das geschieht automatisch. Wir müssen nur funktionieren", sagt er. Der Einsatzleiter muss Entscheidungen treffen, von denen schnelle Hilfe, ja Leben abhängen. Noch muss er davon ausgehen, dass der brennende Bus voll besetzt ist. "Aber der Busfahrer hat geistesgegenwärtig sehr gut reagiert", lobt Sven Wielk. Der Mann war angesichts des entdeckten technischen Defekts und der Rauchentwicklung am Fahrzeug unverzüglich an den Fahrbahnrand gefahren und hatte die 33 Kinder und Jugendlichen sowie fünf Erwachsenen aussteigen und in sicherem Abstand auf die Retter warten lassen. "Die Größe des Steins, die mir da vom Herzen fiel, ist unbeschreiblich", erklärt der Feuerwehrmann mit dem Blick zurück. Von der Fahrt ins tschechische Riesengebirge bringen die 38 Dänen nach dem Brand ihres Reisebusses auf der Autobahn bei Schönfeld zwar nur noch die Kleidung, die sie am Leib tragen, mit nach Hause. "Aber alle konnten unversehrt zurück in Richtung Heimat aufbrechen", sagt Sven Wielk. Nachdem auch die Räder von den Flammen erfasst worden sind, ist an dem Bus nichts mehr zu retten – die Kunststoffteile, Sitze und das Reisegepäck sind Futter für das gefräßige Feuer, das extreme Temperaturen entwickelt. Doch die Feuerwehren aus Lauchhammer, Ruhland und Senftenberg rücken schon nach, denn in diesem Autobahnabschnitt gibt es keine Löschwasserzuführung. Mit der Fracht der großen Tanklöschfahrzeuge, die bis zu 5000 Liter Wasser fassen, wird der brennende Reisebus zunächst abgekühlt und dann mit einem Schaumteppich bedeckt, um dem Feuer den Sauerstoff zu entziehen und die Flammen endgültig zu ersticken. Viele der 62 Kameraden arbeiten unter schwerem Atemschutz, um den Brand sicher zu löschen. Das klappt mustergültig. "Unsere Feuerwehrleute sind hervorragend ausgebildet und technisch gut ausgerüstet", bestätigt Sven Wielk. Doch der Job am Unglücksort sei alles andere als einfach. Auch, weil die Einsatzkräfte oft behindert werden. Das ist am Sonnabend, dem 8. Oktober, der Fall: Auf der Autobahn rauscht ein Kleintransporter auf gerader Strecke unter einen Lastkraftwagen, der Milch transportiert. Zufällig ist eine Feuerwehr aus dem Barnim auf der A 13 unterwegs und deshalb als Ersthelfer da. Die Ortrander Feuerwehr rückt unmittelbar danach an – und ist schockiert. "Die Kameraden haben die linke Fahrspur blockiert, um Verletzten an der Unfallstelle ungefährdet zu Hilfe eilen zu können", erzählt Sven Wielk. "Doch die Unvernunft der Autofahrer ist unbeschreiblich. Um nicht im Stau aufgehalten zu werden, fahren viele dann eben rechts an der Einsatzstelle vorbei", schildert der Feuerwehrmann. Auch die Besatzung des Rettungshubschraubers beklagt an diesem Tag: Auf der A 13 werden Notfalllandungen bei Unfällen verzögert, weil die Fahrer noch unter dem Helikopter hindurch weiterfahren. "Auch für uns wird es lebensgefährlich, wenn wir uns mit dem Einsatzwagen erst quer auf die Fahrbahn stellen müssen, damit die Fahrer überhaupt vor der Unfallstelle anhalten", bestätigt Sven Wielk. Drakonische Strafen, die nach dem schweren Busunglück auf der A 9 gefordert werden, hält er trotzdem für wenig sinnvoll. Er baut vielmehr auf die Vernunft. "Es gibt nichts Wertvolleres als das Leben", sagt er. Und jeder könne einmal selbst Hilfe brauchen. In der Regel helfen die Menschen auch, betont Wielk. Aber es seien auch Gaffer und Ignoranten in der Spur. Quelle: lr-online

Foto: M. Sattler